Triggerwarnung: Krankheit, Abgang, Depression, Trauer, Schwangerschaftsabbruch, Suizidgedanken
Eine strahlende Frau, wie das blühende Leben, ihre Haare wellen sich voluminös über ihre Schultern. Sie trägt perfekt sitzende Kleidung, die ihre Kurven betont und sitzt mit ihrer ebenfalls blendend aussehenden Freundin im Café. Beide essen Avocadotoast und trinken dazu sugarfree Chai Latte mit Hafermilch. Sie lachen, die ganze Zeit.
Eine Frau mit Pickeln, einem Teint wie eine 2-Tage alte Leiche, roten Augen, aus denen Tränen laufen, die Haare seit zwei Wochen nicht mehr gewaschen. Wann hat sie das letzte Mal geduscht? Zähne geputzt irgendwann gestern. Aber scheißegal. Immerhin hat sie was an, ein paar Flecken sind drauf, das T-Shirt riecht nach Schweiß. Sie krümmt sich übers Waschbecken, heute schon zum 18. Mal. Sie fühlt sich, als würde sie ihre Organe auskotzen. Der Druck auf den Beckenboden ist dabei so stark, dass sie denkt sie pieselt oder kackt gleich in die Hose.
Eine Sache haben diese beiden Frauen gemeinsam. Sie sind schwanger.
Eine davon bin ich gewesen. Kleiner Tip: Ich war die, die aussah wie aus dem Cast von „The Walking Dead“. Und hier kommt meine Story:
In der siebten Woche der Schwangerschaft habe ich mich das erste Mal übergeben. Um ehrlich zu sein war ich etwas erleichtert, denn Schwangerschaftsübelkeit ist an sich ein gutes Zeichen, dass es dem Baby gut geht. Und Anfang des Jahres hatte ich einen Abgang, der seine Spuren hinterlassen hat. Deshalb war ich erst einmal guter Dinge und ich kannte die Übelkeit ja schon aus Schwangerschaft #1.
In der achten Woche kam ich dann von einem Tag auf den anderen nicht mehr aus dem Bett. Konnte nicht mehr in die Küche gehen geschweige vor die Tür des Schlafzimmers, weil ich die Gerüche nicht mehr ertragen habe. Wenn ich durch unseren Flur laufen musste, dann habe ich mich erst einmal vor der Haustüre übergeben. Und ich spreche hier nicht von unangenehmen Gerüchen wie wenn der Partner furzt oder man ein Pausenbrot nach 4 Wochen in einer Tupperdose wiederfindet. Ich rede von Gerüchen, die dir bei der reinen Vorstellung schon die Kotze im Mund hochtreiben. Die dich so würgen lassen, dass du denkst jetzt kommt gleich deine Gebärmutter mit raus. Ich habe in sechs Wochen vielleicht viermal unsere Küche betreten.
Ansonsten lag ich im Schlafzimmer, mit immer offenem Fenster. Meine Familie hatte oft eine Jacke an, wenn sie mich besuchten.
Rund ums Bett lagen sämtliche Medikamente, Vitamine, Lutschtabletten, Raumsprays, Snacks und Tee. So viel Tee hab ich in meinem ganzen Leben zusammen nicht getrunken wie in diesen Wochen. Und Schokomüsli, das ich zwischendurch snacken konnte. Wenn ich es wieder rausgekotzt habe, dann war wenigstens der Nachgeschmack leicht schokoladig. Klingt verrückt, aber ich wurde zur Expertin des zweiten Geschmacks. Also welche Dinge schmecken wie, wenn sie wieder hochkommen. Käse z.B.: Ekelhaft.
Diagnose meines Frauenarztes:
Hyperemesis Gravidarum (HG). Unkontrollierbares Erbrechen mit ständiger Übelkeit. Und ständige Übelkeit heißt nicht „normale“ morgendliche Übelkeit, sondern fucking vierundzwanzig Stunden Übelkeit. Auch Nachts. Kotzen bis zu zwanzigmal am Tag. Und ich schreibe hier bewusst immer „Kotzen“, denn wie das aussah und wie ich mich dabei gefühlt habe ist nicht nur „erbrechen“ oder „mich übergeben“, sondern es war schmerzhaftes und bis zur Erschöpfung gehendes Kotzen. Morgens noch mit extra Galle on top. Mein Körper hat sich dabei so gekrümmt, dass es fast immer in meiner Schulter und in meinem Rücken geknackst hat, so als hätte ich mir etwas gebrochen oder ausgerenkt. Ich habe heute noch davon Rückenschmerzen.
Alleine beim Schreiben dieser Zeilen steigen mir die Tränen in die Augen, weil es mich an diese Zeit erinnert, in der ich so wahnsinnig verzweifelt und hoffnungslos war, wie noch nie in meinem Leben. Wie oft lag ich Nachts wach, bewegungslos, kraftlos, und habe stumm in meine Decke geschluchzt. Neben mir mein Freund und meine Tochter schlafend. Habe zu Gott gebetet und gefragt, was ich tun soll, damit das endlich aufhört. Ich wollte nie sterben, weil ich eine Familie habe, ein Kind habe. Aber um ehrlich zu sein ging es mir so schlecht, dass ich mir oft gewünscht habe, einfach ins Koma zu fallen und aufzuwachen, wenn es mir wieder besser geht.
Meine Tage sahen immer gleich aus. Übel, kotzen, liegen.
Mein Leben zog in dieser Zeit gefühlt an mir vorbei. Mir war alles zu viel. Jedes Gespräch, jede Umarmung. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und alleine in meinem Bett liegen. Ich konnte nicht lesen, davon wurde es mir schlecht. Habe alle Social Media Kanäle gelöscht, weil ich alle gehasst habe, die ein aufregendes und schönes Leben führen. Meine Tochter hat mich überfordert. Ich konnte sie nicht mal anziehen. Sie nicht hochheben, ihr nichts vorlesen. Das war eigentlich fast der schlimmste Teil in dieser Zeit. Dass ich nicht an ihrem Leben teilhaben konnte. Dass sie Zeit mit mir verbringen wollte, aber ich einfach nicht konnte und nicht wollte. Schuldgefühle kombiniert mit Übelkeit. Die Freuden des Mutterdaseins.
Die einzige Ablenkung war Videoschauen. Nichts aufregendes, ja nichts emotionales, nicht dramatisches, kein zu schneller Bildwechsel. Ich habe alle 12 Staffeln von Big Bang Theory nochmal geschaut. Sie liefen einfach nebenher, meistens war ich wach, manchmal habe ich gedöst.
Ansonsten habe ich alles auf Eis gelegt. Alle Projekte, alle Ideen, die ich hatte und weiterverfolgen wollte. Alles wurde ganz plötzlich ganz unwichtig. Schon phänomenal, wie wichtig ich dachte, dass manche Dinge angeblich seien. Und plötzlich: Schwupp, total unwichtig, einfach vertragt oder abgesagt.
Mein größtes Tagesprojekt in diesen sechs Wochen: Schaffe ich es heute, mir die Zähne zu putzen? Wenigstens einmal? Klar, gerade nach dem Übergeben hat man einen komischen Geschmack im Mund, aber viel kam eh nicht mehr raus. Und ich habe mir ganz genau überlegt, ob es sich lohnt, dass ich durch die Zahnbürste im Mund zum wiederholten Mal brechen muss. Oft fand ich, dass es die Mühe nicht wert sei. Körperhygiene insgesamt? Völlig nebensächlich. Zwei Wochen nicht duschen oder Haarewaschen waren normal. Meine Beine sahen aus als wäre ich ein Werwolf. Aber ganz ehrlich: Es hat mich nicht im Geringsten interessiert. Eigentlich hat mich nichts mehr interessiert.
Ich hatte auch irgendwann kein Körpergefühl mehr. Mein Körper war der Boss und er machte, was er wollte. Ich war nur noch der Zuschauer. Der Zuschauer eines ganz traurigen Theaterstücks. Wobei ich gelernt habe, dass es andere Frauen noch schlimmer erwischt. Es gibt ein Video auf Youtube über die Krankheit. Und Hyperemesis Gravidarum ist tatsächlich eine Krankheit, nicht ein „normales“ Symptom während einer Schwangerschaft. Jeder, der das Ganze immer noch belächelt, der schaut sich bitte das Video „Pregnant and starving“ an. Ich habe nur geweint, das ganze Video lang. So etwas Schlimmes habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Frauen, die aussehen wie schwangere KZ-Häftlinge. Eine Frau, die fast 50% ihres Körpergewichts verloren hat und das während der Schwangerschaft. Eine andere Frau, die 32 (!) Wochen im Krankenhaus über eine Sonde ernährt wurde, weil sie nicht mal einen Schluck Wasser bei sich behalten konnte. Manche Frauen sterben immer noch an der Krankheit, weil sie erst zu spät ins Krankenhaus eingeliefert werden und an Dehydrierung sterben. Ungezählt sind die Babys, die abgetrieben werden, weil es die Frauen sonst nicht überleben würden. Eine Studie nennt die Zahl von 15%.
Die essentielle Frage, die ich mir dabei gestellt habe: WARUM ZUR HÖLLE IST DAS THEMA SO UNBEKANNT??? JEDER MUSS DARÜBER BESCHEID WISSEN!!! Schwangersein und Kindergebären ist die älteste Sache der Welt. Und meine These: Würden Männer an der Krankheit leiden, so wäre sie schon erforscht bis ins Letzte. Ein Milliardenbudget würde dafür zur Verfügung gestellt werden. Derzeit forschen zwei Teams weltweit aktiv an der Krankheit. Die meisten wissen immer noch nicht, woher die Krankheit kommt. Früher und bis jetzt wird die These vertreten, dass die Frau das Kind innerlich ablehnt und deshalb nicht nur sprichwörtlich, sondern auch buchstäblich alles zum Kotzen findet. Ganz großes Damentennis, dass uns Frauen in diesem Zustand auch noch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird. Die meisten (Ärzte) machen die Schwangerschaftshormone dafür verantwortlich, dies wurde jedoch nie wissenschaftlich bestätigt. Wissenschaftlerin Marlena Fejzo von der University of Southern California gehört zu den führenden HG-Forscher*innen der Welt. Sie selbst litt an Hyperemesis und verschrieb sich deshalb der Forschung an der Krankheit. Ihre Forschungen machen zwei Gene dafür verantwortlich. Weiterhin gibt es aber noch keine Heilung geschweige denn Behandlung dafür.
Was habe ich ausprobiert? Was hat mir geholfen und was eher nicht:
Am Anfang kommen die typischen Ratschläge: Viele kleine Mahlzeiten essen, noch vor dem Aufstehen Kekse essen, Mandeln, Ingwer kauen etc. An die frische Luft gehen, bla bla. Irgendwann habe ich gar nicht mehr zugehört.
Ich musste in der Tat alle ein bis zwei Stunden etwas essen, denn sonst wurde mir noch übler als ohnehin schon. Einmal (und er wird es wohl niemals vergessen) habe ich Amadé gebeten, mir Couscous mit Nektarinen und Fetakäse zu machen. Die ersten 2 Wochen konnte ich eigentlich nur Fetakäse mit Zitronensaft und Olivenöl essen. Er hat er nur gut gemeint und hat noch schön Äpfel, Tomaten und Kapern reingeschnibbelt. Ich habe fast geweint. Ich fand die „nichtbestellten“ Sachen so eklig, dass ich fast gar nichts gehgegessen habe. Manch einer denkt jetzt vielleicht: „Ach komm, die soll sich nicht so anstellen, das ist doch voll die Schikane!“ Aber nein! Ich konnte nur ganz ganz wenige bestimmte Sachen essen und was das war, hat sich manchmal von einem Tag auf den anderen geändert. Irgendwann war ich von den ganzen Brezen und Brot und Toast so übersäuert, dass alles was ich im Mund hatte, nur sauer geschmeckt hat. Dann habe ich versucht, so gut wie möglich basisch zu essen… Süßkartoffeln, Pilze, Kürbis… Irgendwann hatte ich dann gar keinen Appetit mehr und das war ganz fürchterlich. Ich wusste, dass ich essen MUSS, aber ich hatte einfach keinen Appetit.
Wer schon mal in einer solchen Situation war, der weiß, was für ein Privileg es eigentlich ist, mit Genuss essen zu können. Was ich damit sagen will: Wenn Euch schlecht ist in der Schwangerschaft, dann esst, worauf, wann und so viel ihr Lust habt. Denn irgendwann kann es sein, dass ihr nichts mehr essen könnt. Also sch**** auf Kalorien etc.
In der Tat geholfen haben mir Ingwertee, Kräutertees, Ingwerlutschtabletten, der Geruch von Raumsprays, ätherische Öle. Nicht geholfen haben bei mir (was aber nicht heißt, dass es bei anderen nicht funktionieren würde! Einfach ausprobieren!) Akupressurarmbänder, Akupunktur, sämtliche Medikamente wie Nausema (gibts in der Apotheke), Cariban (verschreibungspflichtig) und Agyrax (obwohl erstes Mittel der Wahl und hier auch zugelassen, nicht mehr in Deutschland verfügbar, ein lieber Freund hat es mir aus Frankreich zugeschickt).
Meine Retter in der Not
Mein engstes familiäres Umfeld war auch irgendwann verständlicherweise überfordert. Alle 2-3 Tage habe ich mich gezwungen, vor die Tür zu gehen. Ich konnte mich nur im Schneckentempo bewegen. Stand ich zu lange auf den Beinen, wurde mir schwindlig und teilweise wurde ich sogar ohnmächtig. Von der Bewegung wurde mir noch übler, weshalb ich regelmäßig an irgendwelchen Wänden oder Gittern lehnte und mir die Seele aus dem Leib kotzte. Einmal stand ich dabei direkt neben meiner Mama und ich muss ein schreckliches Bild abgegeben haben. Denn sie schickte mich gleich am nächsten Tag zu meinem Heilpraktiker und Komplementärmediziner. Selbst konnte ich nicht fahren. Wochenlang fuhr mich die Schwiegermutter ein bis zweimal die Woche dorthin (Danke, liebste Gaby!). Er war der erste, der mich wirklich untersuchte. Der sich über zwei Stunden Zeit für mich nahm, obwohl seine Praxis jeden Tag brechend voll ist. Der mir zuhörte, sich Gedanken machte, auch als ich schon nicht mehr in seiner Praxis war. Ich sah einfach aus und fühlte mich wie ein armseliges Würmchen, das zu nichts im Stande war. Ich konnte nicht mal einen Bleistift heben zu der Zeit. Peter unterstütze und behandelte mich in diesen Wochen und ich bekam eine Infusion nach der anderen. Jedes Mal wieder wurde neu ausgetestet und nach circa acht Behandlungen konnte ich auch wieder lachen. Dafür danke ich ihm und seinem Team wirklich aus ganzem Herzen.
Genauso geholfen haben mir meine systemische Kinesiologin Nadja und mein Osteopath Thomas. Peter – Nadja – Thomas sind mein Dreigestirn der mentalen, seelischen und körperlichen Gesundheit. Danke Euch für alles!
Auch Amadé hat einiges mitgemacht. Wie oft habe ich vor ihm geweint und gesagt, dass ich nicht weiß, ob und wie ich das weiter aushalten soll. Wenn der eigene Partner seit Wochen im Bett liegt und zu nichts im Stande ist und weinend so etwas sagt, ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde. Wahrscheinlich würde ich mitweinen. Er ist immer positiv geblieben, hat Witze gemacht – die ich zu der Zeit natürlich total bescheuert fand. Aber er hat den Laden am Laufen gehalten wie man so schön sagt. Dafür danke ich ihm auch sehr. Auch meinen Eltern, die oft bis spätabends da waren und Aurelia eine schöne Zeit beschert haben. Und natürlich Gaby, die an fünf Tagen die Woche von morgens bis abends bei uns war und sich um Haushalt und Kind gekümmert hat. Was hätte ich nur ohne sie alle gemacht?
Ein paar Wochen lang hatten wir sogar eine Haushaltshilfe. Hier kann ich Betroffenen nur den Tip geben, sich so schnell wie möglich darum zu kümmern. Wenn der Frauenarzt Euch in einer solchen Situation keine verschreibt, dann wechselt den Frauenarzt. Punkt. Macht der Versicherung Feuer unterm Hintern. Lasst Euren Partner mit der Versicherung telefonieren. Lasst nicht locker, ihr braucht Unterstützung!
Und das letzte was man braucht sind Menschen, die einen nicht verstehen oder bewerten. Ich habe von Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern gelesen, die den Frauen sagen, sie sollen sich doch mal zusammenreissen. Dass die Übelkeit normal sei. Oft wird man von (sogar) Fachpersonal als labil, weinerlich und psychisch krank abgestempelt. Viele Frauen werden in dieser Situation in ihrem unermesslichen Elend im Stich gelassen. Ich las von vielen Frauen, die sogar Blut erbrachen. Ist das Elend zu groß, wird teilweise ein Schwangerschaftsabbruch angeboten. Ich verurteile keine einzige Frau, die dieses Angebot annimmt. Viele betroffenen Frauen denken auch über Suizid nach.
Niemand konnte mich in der Situation richtig verstehen. Was ich niemandem übel nehme, denn wenn man selbst nicht an der Krankheit litt, versteht man das Leid nicht, das man ertragen muss. Hätte es länger gedauert, ich hätte psychologische Hilfe gebraucht. Meine größte Angst war – und für viele werdende Mütter ist das leider Realität – bis ans Ende der Schwangerschaft unter Hyperemesis zu leiden.
Als es mir nach über sechs Wochen etwas besser ging, war ich zum ersten Mal seit langem wieder „in der Stadt“, also in Erding. So viele Eindrücke, so viele Geräusche. Bei der Hofpfisterei habe ich mir eine Breze geholt. Die Verkäuferinnen tuschelten, als ich in der Schlange wartete und da ich zuvor sechs Wochen in völliger sozialer Isolation war, waren alle meine Sinne extrem geschärft. Ich hatte den Geruchs-, Geschmacks- und Gehörsinn eines Spürhundes. Und so hörte ich auch, wie die Verkäuferin zu ihrer Kollegin sagte, wie schrecklich ich doch aussähe. Das tat sehr weh. Anschließend habe ich sofort Amadé angerufen und ins Telefon geheult, weil ich so am Ende war. Es war nur ein dummer Kommentar und er sagte mir, dass das doch nicht so schlimm sei. Aber für mich war es wirklich schlimm. Ich fühlte mich verraten und missverstanden. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, dachte ich mir, dass ich selbst wohl früher genauso gedachte hätte, wenn vor mir eine abgemagerte Person mit fahlem Teint, fettigen Haaren und Leggings beim Bäcker gestanden und kein Lächeln zustande gebracht hätte.
Ich möchte nicht sagen, dass ich für diese Krankheit dankbar bin. Das fände ich zu ketzerisch und dem Universum möchte ich bestimmt nicht die Message senden: Durch krasse Krankheit lerne ich etwas fürs Leben. Aber ich bin dankbar für diese Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung. Verständnisvoller zu sein, geduldiger zu sein. Die kleinen Dinge wieder mehr zu schätzen. Mir Zeit für die wahrlich wichtigen Dinge zu nehmen, nicht für die vermeintlich wichtigen. Vor allem Frauen gegenüber weniger wertend zu sein, weniger zu verurteilen. Zu versuchen, Verständnis für jede Situation jeder Frau aufzubringen. Denn Frauen haben es wirklich nicht leicht in unserer Welt. Schon ohne Krankheiten. Und dann erst noch mit.
Was will ich mit diesem Artikel bezwecken?
Dass alle erfahren, dass ich mich beim Kotzen fast eingenässt hätte und der jämmerlichste Wurm der Welt war? Nope, eher nicht. Dies dient rein zur Illustration des ganzen.
Ich möchte, dass jede*s Leser*in weiß, dass Schwangerschaft meistens nicht so schön ist, wie uns das die Werbung und Instagram weismachen wollen.
Dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch nicht ausreichend ernst genommen werden. In Frankreich gibt es scheinbar immer noch sogenannte „Black Rooms“. Das sind Räume, abgedunkelt, isoliert, in die Frauen in Krankenhäusern gebracht werden, wenn sie an Hyperemesis leiden. Dort legt man sie dann ab zusammen mit den anderen Frauen in diesem Raum und sie erbrechen dort Tag und Nacht. So läuft oftmals noch die „Behandlung“ für diese Krankheit ab.
Ich wünsche mir, dass wir Frauen offener über diese Themen sprechen. Dass wir uns trauen, das mit anderen zu teilen!! Nur so können wir Bewusstsein für diese Krankheit schaffen. Als ich mit Bekannten und Freundinnen darüber geredet habe, erzählten mir so viele, dass es ihnen genauso ging. Anscheinend betrifft Hyperemesis nur 2% der Schwangeren. Was meiner Meinung nach daran liegt, dass es in vielen Fällen gar nicht diagnostiziert wird. Kate Middleton hat das Thema vor Jahren etwas bekannter gemacht, weil sie in jeder ihrer Schwangerschaften unter Hyperemesis litt.
Und vor allem wünsche ich mir, dass wir alle verständnisvoller miteinander umgehen. Nicht immer sofort urteilen und andere abkanzeln. „Ach die ist doch schwach, labil, unorganisiert, dumm, faul…“ Sondern unser Herz öffnen, an Zeiten denken, in denen es uns schlecht ging und was wir uns dann gewünscht hätten: Unterstützung und Verständnis.