Alesias Hausgeburt

* In Kursiv geschrieben ist meine Wunschgeburtsliste, die ich im Vorfeld formuliert hatte.

Ich wünsche mir dass, die Geburt rund um den Termin beginnt und nicht eingeleitet werden muss oder sonstiges.

Die Geburt meiner ersten Tochter Aurelia war rückblickend ein wunderschönes Erlebnis. Ich war eine Woche über dem Termin und deshalb empfahl man mir in der Klinik eine Einleitung. Mittlerweile weiß ich mehr und bin eine andere Frau als damals und entscheide mich anders, nämlich für eine Hausgeburt bei uns zuhause am Billesberger Hof. Ich wünsche es mir so sehr, spricht doch die Sach- und Datenlage absolut für das Gebären zuhause im sicheren Umfeld. Zuletzt noch einmal bestärkt durch den Film „Die sichere Geburt“ ist für mich eine Geburt in der Klinik undenkbar. Ich möchte das beste für mein Kind und auch das beste für mich und denke, dass für uns beide eine Hausgeburt die beste Wahl ist. Doch mit jedem Tag, der weiter über den errechneten Termin verstreicht, werde ich ungeduldiger und unsicherer. Was, wenn nun doch wieder eingeleitet werden muss? Ich vertraue mich meiner Kinesiologin an, die mich seit Jahren begleitet. Sie sagt mir, dass Geburt eine Co-Kreation ist und mein Kind vielleicht einen anderen Wunsch hat, wie und wann sie zur Welt kommen möchte, auch wenn ich denke, dass eine Hausgeburt für sie das beste ist. Und dass ich meine Wunschvorstellung loslassen und einfach ins Vertrauen gehen dürfe. Diese Worte bewegen sehr viel in mir und ihre Umsetzung fällt mir unendlich schwer. Ich lege gerade Wäsche zusammen, als ich ihre Nachricht erhalte und die Tränen laufen mir die Wangen hinunter. So schwer es mir fällt, aber ich versuche auch das Krankenhausszenario zuzulassen, zumindest gedanklich einmal hineinzugehen. Was würde ich sagen, wie würde ich mich fühlen, worauf würde ich bestehen. Anschließend setze ich mich an meinen Schreibtisch und schreibe schon mal eine Liste fürs Krankenhaus, was ich möchte und was ich auf gar keinen Fall möchte. Innerlich wappne ich mich schon und versuche erneut, den Gedanken zuzulassen. Es fühlt sich an wie ein innerliches Ergeben.

Mittwochmorgen wachte ich gegen acht Uhr auf. Die frühen Morgenstunden hatte ich wachgelegen, viel nachgedacht und noch einige Tränen vergossen. 

Ich weckte Auri auf und half ihr, sich kindergartenfertig zu machen. Der Morgen war recht harmonisch, außer dass wir ziemlich spät dran waren und ich Aurelia erst um halb 10 zum Kindergarten brachte. Was aber eigentlich ganz gut passte, da ich um 10 Uhr einen Termin bei meiner Hebamme Marlene hatte. Beim Frühstücken gegen 9 habe ich das erste Mal ein Ziehen bemerkt. Wahrscheinlich musste ich einfach nur aufs Klo. Ständig Pieseln und auch der Darm meldete sich ja ständig. Deshalb bat ich Amadé, Auri ihre Matschkleidung für den Waldkindergarten anzuziehen, damit ich nochmal auf die Toilette könnte. Außer ein paar Tropfen kam aber nichts. Nun ja, dann mal los zum Kindergarten.

Dort angekommen, verabschiedete ich mich noch von Aurelia (wie schon seit längerem im Sitzen, alles andere war zu anstrengend…) und da war schon wieder ein Ziehen. Als ich im Auto saß, das nächste. In etwa alle 10 Minuten und doch irgendwie anders, als das Bedürfnis, einfach nur auf die Toilette zu müssen. Fühlten sich so vor drei Jahren die Wehen bei Aurelia an, fragte ich mich. Zur Sicherheit rief ich Amadé an, als ich mich auf dem Weg nach Taufkirchen an der Vils zu meiner Hebamme Marlene befand. „Also ich bin mir nicht sicher und bitte erzähl NIEMANDEM was, aber vielleicht habe ich schon Wehen…“ 

Als ich bei der Hebammenpraxis Gaia auf den Parkplatz fuhr, wartete ich noch die nächste Wehe im Auto ab, dann ging ich schon etwas schwerer atmend nach oben. Noch kurz auf die Toilette, auf den Streifen pieseln. Da sah alles aus wie immer. Aber nun ja, es gab ja auch schließlich keine Testfarbe für „Wehen“. Trotzdem saß ich nicht wie üblich wartend auf dem Stuhl vor Marlenes Besprechungszimmer, sondern tigerte unruhig auf und ab, streckte und reckte mich und trat auf der Stelle herum. 

Ich wünsche mir, dass die Geburtsanzeichen für mich klar sind und allmählich beginnen.

Mittlerweile war ich mir sicher, dass das Wehen waren. Ungeduldig wartete ich auf Marlene, der ich dann gleich zurief: „Also ich glaube ich hab Wehen…“ Sie lächelte, als hätte sie nichts anderes erwartet und bat mich dann gleich zu sich ins Zimmer. „Ich kann mich jetzt aber nicht mehr zum CTG hinlegen…“ sagte ich ihr. „Kein Problem, ich untersuche Dich jetzt gleich und dann machen wir das CTG im Stehen, um sicherzugehen.“ Gesagt, getan. „Dein Muttermund ist schon 2cm offen und alles ist weich. Das Kind kommt heute noch.“ „Okidoki, dann legen wir also los!“ Dachte ich mir mit einer Mischung aus Vorfreude und Respekt vor meinem offensichtlichen To-Do des heutigen Tages. „Fahr noch heim, iss und trink ausreichend und geh in die Badewanne!“ Auf meine Frage, wann ich sie dann wieder anrufen solle, meinte sie nur: „Wenn du das Gefühl hast, dass du uns brauchst!“ Okay, wann wird das wohl sein, fragte ich mich nur.

Die Heimfahrt war sehr abenteuerlich. Erst rief ich Amadé an und sagte ihm, dass ich jetzt die 30km nach Moosinning fahre und hoffentlich gut daheim ankomme. Alle 8-10 Minuten krallte ich mich am Lenkrad fest und atmete  s e h r   t i i i e e e f. Nebenbei hörte ich Dean Martin’s Greatest Hits, während ich auf dem Autositz hin und her rutschte: Hey mambo, mambo italiano, Hey mambo, mambo italiano… Only you have that magic technique, When we sway, I go weak… We open in Venice, we next play Verona, then on to Cremona… Vielleicht kam mein Kind ja zu den Klängen von Dean Martin zur Welt, dachte ich mir. Ich erinnerte mich an das Hypnobirthing Buch, das ich vor der Geburt von Aurelia gelesen hatte. Dort drin stand etwas von Meeresrauschen und Naturklängen, die wohl förderlich für die Geburt seien. Bei der ersten Geburt hätte es mir nicht mehr egal sein können, welche und ob überhaupt Musik gespielt wurde. Ich hatte ja nicht mal mitbekommen, dass der Raucherbalkon der Hebammen direkt an den Kreissaal angrenzte und jedes Mal eine Schwade Rauch hereinwehte. Ein Erlebnis, das sich bei Amadé hingegen in etwa so fest eingebrannt hatte wie der erste Schrei unserer Tochter. Nun ja, vielleicht will ich ja dieses Mal Musik hören. 

Ich wünsche mir, dass die zeitlichen Umstände gut sind, heißt dass dann gleich jemand für Aurelia da ist und Amadé wirklich Zeit hat.

Zuhause angekommen, in etwa um kurz nach 11 Uhr, ging ich unter Ächzen ins Haus, wo Amadé schon auf mich wartete. Weil Mittwoch war, kam auch meine Mama zur Tür herein. Sie ist immer Mittwochs bei uns und kocht für die gesamte Mannschaft und kümmert sich am Nachmittag um Aurelia. Dieses Mal war auch mein Papa dabei. Außerdem hatten Iva, Andrea und der Rest des Teams alles unter Kontrolle, so dass Amadé gleich bei mir bleiben konnte und nach einem kurzen „Briefing“ meiner Mama („Es kommt bitte NIEMAND und UNTER KEINEN UMSTÄNDEN nach oben!!!“) verschwanden wir nach oben, wo ich sogleich in die Badewanne ging. Nach einer halben Stunde im warmen Wasser wollte ich wieder raus, weil die Badewanne zu eng war, um meine „Turnübungen“ während der Wehen zu machen. Und als ich mich dann im Schlafzimmer am Sessel festkrallte und die nächste Wehe veratmete, bat ich Amadé, doch bei Marlene anzurufen, weil die Wehen nur noch um die 4 Minuten auseinander waren. „Du bleibst jetzt aber schon gleich hier bei mir oben und musst nichts mehr erledigen, oder?“ fragte ich ihn. Gott sei Dank war Mittwoch und für alles gesorgt, so dass er bei mir bleiben konnte. 

Ich wünsche mir, dass es einen kontinuierlichen Geburtsfortschritt gibt und die Hebammen mir dies auch zurückmelden.

Eine viertel Stunde später, es war nun 12.15 Uhr, steckte Eva ihren Kopf durch die Tür. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, wer das war und freute mich dann sehr, als sie da war. Sie untersuchte mich sogleich und verkündete dann: „Also der Muttermund ist jetzt schon bei 8cm, ich würde vorschlagen du legst dich mal etwas auf die Seite und machst ein bisschen langsamer…“

Ich wusste nicht, ob mich das jetzt beunruhigen oder motivieren sollte, aber 8cm klang doch gut.  Mir fielen die Worte aus dem Geburtsvorbereitungskurs ein: Pi mal Daumen pro Stunde ein Centimeter, in der sich der Muttermund weiter öffnet. Na da war ich ja ein klein wenig schneller. Noch weitere 2cm, dann könnte es losgehen. 

Auf meinem Decken- und Kissenberg im Bett legte ich mich dann auf meine linke Seite und atmete wie eine Wilde. Eva atmete mit mir zusammen und hielt mich dazu an, mehr auszuprusten wie ein Pferd. Immer wenn ich also während der Wehen prustete, dachte ich an meine beiden Pferde Jankó und Jella und dass ich es einfach nur so machen musste wie sie.

Ich wünsche mir, dass die Stimmung davor und währenddessen und auch danach harmonisch, ruhig und liebevoll ist. 

In den Wehenpausen, die ich mittlerweile nur noch für das allernötigste nutzte, hörte ich das Zwitschern der Vögel draussen und das Geschnatter der Perlhühner. Ein wunderschönes Gefühl, das mit keinem Krankenhausfeeling der Welt mithalten kann. Die Stimmung zuhause in den eigenen gewohnten vier Wänden zu sein, wirkte sehr beruhigend und erdend auf mich. 

Irgendwann war auch Marlene dazu gekommen und die beiden Hebammen unterhielten sich zwischendurch leise. Ich fragte mich dann immer: „Was reden sie da? Ist es was Gutes oder was Schlechtes? Ich will wissen, was sie reden!“

Aber kaum war die nächste Wehe da, war es mir ohnehin egal und ich krallte mich an ihnen fest. Die eine Hand bei Amadé, die nächste bei Marlene oder Eva. Ich drückte und zog während der Wehen gefühlt wie eine Wahnsinnige an ihren Händen, dabei saßen sie ganz locker da. Als Hebamme hat man echt eine ziemliche Kraft, dachte ich mir nur. Und wie weiche Hände Marlene hatte, das ging mir auch durch den Kopf. Die rechte Hand in ihrer, die linke Hand in Amadés rauer Hand. 

„Versuch doch mal auf die Toilette zu gehen.“ Halbwegs stabil ging ich in Richtung Klo, um dann nur ein paar Tropfen herauszupressen, mehr ging leider nicht mehr. Für einen Einlauf war es schon zu spät. Dabei war ein leerer Darm sehr wichtig, auch das wusste ich noch aus dem Geburtsvorbereitungskurs. Schließlich zählt bei der Geburt jeder Millimeter Platz. 

Ich wünsche mir, dass ich die ganze Geburt halbwegs bewusst wahrnehmen kann und ich mich gleichzeitig in meine eigene Welt zurückziehen kann.

„Willst du einen neuen Waschlappen? Willst du noch was zu Trinken?“ Amadés Fragen rissen mich aus meinem Film. Ich schaute ihn an: „Stell mir nicht so viele Fragen!“ Und dachte mir: Mach einfach! Diese Fragerei nervt mich… Die nächste Wehe kam auf dem Weg zwischen Toilette und Schlafzimmer (die Entfernung beträgt circa 6-8 m…) und so krallte ich mich am Wickeltisch fest. Für die nächste Wehe sollte ich mich in die Hocke begeben. Ein richtiges Zeitgefühl hatte ich schon nicht mehr, jedenfalls war es noch hell draußen.

Ich wünsche mir, dass ich während des ganzen Prozesses immer die jeweilig für mich passende Position finde (nicht Rückenlage!).

Das war ehrlich gesagt nur so semi-angenehm und ich wollte mich wieder auf meinen Kissen- und Deckenberg legen, wo immer neue Kissen untergelegt wurden, damit ich halbwegs aufrecht war. Stehen war auf Dauer auch nichts für mich, das war mir zu anstrengend und auch nach Sitzen hatte ich kein Bedürfnis. Scheinbar war aufgerichtete Seitenlage die Position meiner Wahl. Nach dem Klogang sollte ich mich aber auf die rechte Seite legen. Die Wehen waren mittlerweile ziemlich schmerzhaft, vor allem da ich immer meine Beine öffnete und versuchte, nach unten zu atmen und zu schieben und das genau das Schmerzhafte an der Sache war. Noch befand ich mich in den Eröffnungswehen, wobei ich ab und an schon das Gefühl hatte, mitschieben zu wollen. 

Bei der Geburt von Aurelia hatte ich schon sehr sehr intensiv geatmet, aber ich hielt mich nie für eine „Schreierin“. Das gibts nur in Filmen oder bei Frauen, die gar keine Schmerzen aushalten – so dachte ich mir das zumindest immer. Bis ich mich irgendwann selbst darin wiederfand und EINFACH SO Schreie aus mir kamen. Anfangs noch eher gedämpft, aber es ging nicht mehr anders. „Was für krasse Schmerzen sind das eigentlich???“ Ein Gedanke, den ich noch aus meiner ersten Geburt kannte. Während der Wehen dachte ich mir mehrere Male: „Also Antonie, wenn du diese Schmerzen erträgst, dann schaffst du echt alles auf der Welt, was du nur willst! Alles, was danach noch kommt, ist ein Spaziergang gegen diese Schmerzen bei der Geburt!“

Ich wünsche mir, dass ich die Wehen und Schmerzen gut handeln kann und sie für mich aushaltbar sind. 

Was mich immer beruhigte war das Wissen: Es geht voran und eine Geburt ist zeitlich begrenzt.  Also schaffe ich das. Zu keinem Zeitpunkt dachte ich ans Aufgeben oder dass ich es nicht mehr schaffen könnte. „Du hast nur noch eine begrenzte Anzahl von Wehen, bis sie da ist. Du schaffst das!“ Dieser Gedanke hielt mich motiviert, alles zu geben.

Ich wünsche mir, dass es dem Baby während der ganzen Zeit gut geht.

Eva spornte mich an, in der Wehenpause immer tief in den Bauch zu meinem Baby zu atmen. Das war zwar richtig anstrengend, aber ich hatte zu jedem Moment das Gefühl, dass es Alesia gut geht. Regelmäßig wurde ein Dopton an meinen Bauch gehalten und die Herztöne waren immer in Ordnung, was mir großes Vertrauen gab, einfach auf den Lauf der Dinge zu vertrauen. 

Mittlerweile war ich schon in der Pressphase angekommen. Diese Wehen fand ich richtig „angenehm“ im Vergleich. Doch immer noch SAU ANSTRENGEND! Nach der Geburt hörte ich mehrere Telefonate von Amadé mit, der allen berichtete, dass die Geburt „total easy“ gelaufen sei. WTF. So würde ich es absolut nicht nennen, wenn man denkt man wird vor Schmerzen auseinander gerissen und schreit, als gäbe es kein Morgen mehr. Unsere Mitarbeiter, die übrigens genau in der heftigsten Pressphase DIREKT UNTER UNS zu Mittag aßen, hörten angeblich nichts. Kaum vorstellbar für mich. Immer als ich bei einer neuen Wehe schob und presste, stieß ich einen solch heftigen Schrei aus, dass mir immer nur der Begriff „Urschrei!“ in den Sinn kam. Anders kann man diese Mischung aus Präsenz, von Sinnen sein, heftigste Schmerzen und immensem Kraftakt nicht beschreiben. 

Irgendwann machte es „Platsch“, ein Geräusch als ob man einen mit Wasser gefüllten Luftballon auf die Straße werfen würde. Die Fruchtblase war endlich geplatzt, jetzt war es also nur noch eine Frage der Zeit. 

Ich wünsche mir, dass sich die Untersuchungen währenddessen wie Muttermund abtasten in Grenzen halten.

Gefühlt hatte Eva das Hebammen-Zepter in der Hand, zumindest empfand ich das so, weil die meisten Anweisungen von ihr kamen. Sie zeigte mir, in welche Richtung ich pressen und schieben müsste, indem sie ihre Finger genau in diese Richtung drückte. Angenehm war etwas anderes, aber ich wusste, was ich zu tun hatte. Bei der Geburt von Aurelia hatten die Hebammen im Krankenhaus gefühlt ständig an meinem Muttermund herumgefingert, was immer die nächste Wehe ausgelöst hatte, die so schmerzhaft war, das ich teilweise dachte ich kippe um. Dieses Mal war das Gott sei Dank ganz anders. Bis mich auf einmal Eva informierte, dass sie meinen Darm „ausgestrichen“ habe. „Wie soll ich mir das denn vorstellen?“ fragte ich mich nur. Aber im nächsten Moment war es mir schon egal, denn jeder Millimeter zählt schließlich. 

Auf zu den nächsten Presswehen. Bei jeder Wehe fragte ich mich: „Wird das wohl die letzte sein?“ Aber ein paar Mal presste und drückte ich noch, als ginge es um mein Leben. Was ja auch irgendwie stimmte. Dabei schrie ich so laut und intensiv, dass ich mich selbst nicht wiedererkannte. Von Prusten war jetzt keine Spur mehr. Die Instinkte nehmen dann wahrscheinlich einfach das Ruder in die Hand und das ist auch gut so.

Ich wünsche mir, dass ich selbstbestimmt fühle und handle.

Ich war so sehr in meiner Mitte, so präsent in mir und mit mir, so klar bei Sinnen und gleichzeitig auch nicht, dass es ein Gefühl ist, das ich mein ganzes Leben lang wohl nicht vergessen werde und auch nicht nicht vergessen will. Ich fühlte mich so sehr in meiner weiblichen Kraft, dass ich wiederholte Male den Gedanken hatte: „Wenn du das schaffst, kannst du ALLES schaffen!“ The world is my oyster, sozusagen. Wenn wir Frauen doch nur alle dieses Gefühl dauerhaft in uns tragen würden, uns FEIERN würden für diese Kraft und diese Leistung, auf die wir einfach unser Leben lang stolz sein sollten. Würden Männer gebären, so würden sie wohl von Tag 1 bis zum Ende ihres Lebens gefeiert werden, weil sie diejenigen sind, die neues Leben auf die Welt bringen. 

Back to business: Während ich zwischendurch diffus mitbekam, wie Marlene und Eva mit Dammöl hantierten und schmierten, motivierten sich mich noch, eine andere Position auszuprobieren, hatte ich mir doch vorgenommen, dass ich dieses Mal eher im Stehen, Sitzen oder in Vierfüsslerstellung mein Kind zur Welt bringen wollte. Wie auch bei der Wunschvorstellung mit der Musik (häh, welche Musik?!?), blieb ich auch dieses Mal in einer Liegeposition, wenn auch aufgerichtet und seitlich. Als sie mir sagten, dass das Köpfchen mit vielen dunklen Haaren schon zu sehen sei, fasste ich nur einmal kurz nach unten und krallte mich dann wieder an den Händen von Amadé fest, der nun komplett das Stützen übernommen hatte. Ich konnte und wollte ihn nicht loslassen, er war mein Anker auf der stürmischen See des Lebens. Die Spannung untenrum war krass, es ging wirklich um jeden Millimeter und es fühlte sich an, als würde ich gleich auseinanderreissen. 

Ich wünsche mir, dass von den ersten Anzeichen des Geburtsbeginns bis zur Geburt in etwa nur 6-8 Stunden vergehen.

Und plötzlich war sie da: Es machte einen Ruck und gefühlt in einem Flutsch war nicht nur ihr Köpfchen draussen, sondern ihr ganzer Körper. Es ist 13:40 Uhr. Ein Gefühl des völligen inneren Friedens macht sich in mir breit. 

Sie wird mir sofort auf die Brust gelegt und ich schaue sie an. Meine zweitgeborene Tochter Alesia. Wunderschön. Überall ist Kacka (ihre! :), Blut und viel Käseschmiere. Ein richtiger Saustall, aber es könnte mir nicht mehr egal sein. Ich schaue nur sie an und Amadé, der selig und ganz gerührt lächelt. Irgendwann wird mir wieder ein „Mamathron“ aus Kissen und Decken gebaut und ich lehne mich zurück, um sie anzuschauen. Meine zweite Tochter, mein Leben, meine Liebe, mein Glück. 

Ich wünsche mir, dass sich nach der Geburt die Plazenta bald löst und die Gebärmutter sich (halbwegs) schmerzfrei zusammenzieht.

Wie Eva immer wieder betont, ist die Geburt erst dann abgeschlossen, wenn sich auch die Plazenta gelöst hat und diese geboren wurde. Nährt sie doch die ganze Schwangerschaft über unser Baby. Die Nabelschnur ist inzwischen schon auspulsiert und ganz schlaff. Leicht zieht Eva an der Nabelschnur und mit dem nächsten Platsch kommt die echt große Plazenta zum Vorschein. Sie hat Alesia die ganze Zeit über am Leben gehalten und sie mit allem versorgt, was sie brauchte. Wir bewahren sie auf, um sie dann im Herbst unter Alesias Lebensbaum zu vergraben. So haben wir es auch schon bei Aurelia und ihrem Pfirsichbaum gemacht. 

Kurz werde ich noch untenrum inspiziert, wo ich Dank des fleißigen Ölens durchs Marlene keinerlei Geburtsverletzungen habe (WOW!). Irgendwann hilft mir Eva noch, mich abzuduschen, denn an mir klebt jede Körperflüssigkeit, die es nur gibt. Ich schwebe ohnehin in anderen Sphären und fühle mich wie die Königin der Sanftheit und Stärke zugleich. 

Ich wünsche mir, dass es Aurelia in der Zeit gut geht und sie eine schöne Zeit hat.

Aurelia war währenddessen in den besten Händen und richtig gut drauf. Sie hat gespielt, gelacht und wurde liebevoll umsorgt. Sogar beim Eisessen war sie mit Oma und Opa. Besser hätte ihr Tag wohl kaum laufen können und das macht mich sehr glücklich. 

Sie ist auch die allererste, die ihre kleine Schwester zu Gesicht bekommt und ich und mein Herz können es noch gar nicht fassen, dass ich nun zwei kleine perfekte wundervolle Töchter habe. 

Ich wünsche mir, dass es rückwirkend betrachtet wieder ein schönes Erlebnis ist. 

Eine Hausgeburt und die professionelle Betreuung durch die Hebammenpraxis Gaia aus Taufkirchen an der Vils und insbesondere durch Marlene und ihren immerwährenden Optimismus war die beste Entscheidung, die ich für mich und uns treffen konnte. Amadé war stets an meiner Seite und hat all meine Entscheidungen unterstützt und befürwortet. Wenn man sich für eine Hausgeburt entscheidet, so bekommt man von vielen ungefragt die Meinung mitgeteilt, Ängste und Sorgen aufgeschwatzt und oft das Gefühl vermittelt, man würde eine unüberlegte und riskante Entscheidung treffen. Das Gegenteil war für uns der Fall. Selten habe ich mich so sicher, geerdet, zuhause und stark gefühlt. Ein Gefühl, das jeder Mutter dieser Welt zusteht.