Meine 4 Rezepte für Glück & Zufriedenheit – oder was mich ein Krankenhausaufenthalt in Italien & Pasta al Pomodoro gelehrt haben

Disclaimer: Diese Geschichte entspricht der Wahrheit. Ich habe kein bisschen dazu erfunden, höchstens etwas weggelassen. Das Leben schreibt eben die besten Geschichten.

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich in einem Provinz-Krankenhaus in Italien, genauer gesagt in der toskanischen Pampa, und warte auf den weltweiten Spezialist seines Fachs, Prof. Dario Conte aus Mailand.

In diesem Krankenhaus befinde ich mich seit letzten Freitagabend, heute ist Freitag exakt eine Woche später.

Vor zehn Tagen lagen wir am Pool eines zauberhaften kleinen Hotelsmit nur wenigen Zimmern und ich dachte mir, dass mein Leben, genauso wie es ist, absolut wunderschön ist und es nichts gibt, das ich ändern würde. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich in den letzten Tagen zuversichtlich bei meiner Meinung geblieben bin. Aber alles der Reihe nach:

Es ist Dienstagabend und ich sitze an der langen steinernen Tafel im Freien neben Marisa, der Herrin des Hauses meiner momentanen Unterkunft, und wir essen ihre Pasta al Pomodoro. Ein Gericht, das schlicht klingt und in Deutschland oftmals leider auch unspektakulär schmeckt. An dieser Stelle muss ich meinem Freund bereits den Titel „Bester Pasta Al Pomodoro Koch“ aberkennen und ihn Marisa verleihen. Ich wünschte ich könnte Euch alle probieren lassen; nicht mal ein Foto habe ich gemacht, so war ich im wahrsten Sinne des Wortes in meine Pasta al Pomodoro versunken. Es war, als würde ich Sonne und Liebe essen. Ich schmecke die heisse toskanische Sonne in den San Marzano Tomaten, die ihr Mann Franco nur wenige Stunden zuvor im eigenen Garten geerntet hat. Die fruchtige Schärfe des Olivenöls der eigenen Bäume und den aromatischen Basilikum. Nach dem ersten Teller Pasta (der nicht klein war!) bekomme ich eine Führung in diesem Garten Eden der Familie De Marco. Reife ferrari-rote Tomaten verschiedenster Sorten neben Rosmarin und Basilikum, Obstbäume von Pfirsich über Granatapfel, Kaki und Feige bis hin zu Birne, Zwetschge und Walnuss. „Wir benutzen keinen, wie sagt man, Dünger. Nix. Und siehst du, alle Bäume sind voll!“

Erst vor kurzem war ich mit der Slowfood Akademie auf Exkursion und wir haben untersucht, was zu viel Dünger mit dem Boden macht. Biodiversität ist bei zu viel Dünger und Pestiziden kaum mehr möglich. Ganz zu schweigen vom Geschmack. Was auch der zweite Teller Pasta al Pomodoro eindrucksvoll beweist, den ich nach der Gartenführung selig verspeise. Das Gericht besteht aus nichts als guter italienischer Pasta, San Marzano Tomaten („Die besten für Soße!“), Olivenöl, frischem Knoblauch, Salz und Pfeffer. Also fast.

Die wichtigste Zutat: Amore.

Kürzlich hörte ich einen Vortrag, in dem eine Dame von einem Experiment berichtete: Man schält eine Orange, teilt sie in Spalten, nimmt eine Orangenspalte heraus und widmet dieser seine ganze Aufmerksamkeit, behandelt sie besonders liebevoll und dankbar. Anschließend legt man sie wieder zum Rest der Orangenstücke zurück. Dann lässt man eine bisher abwesende Person alle Orangenstücke durchprobieren und fragt sie, welches am besten geschmeckt hat. Wem das jetzt wie Hokuspokus vorkommt, der wird sehr erstaunt über das Ergebnis sein: Ausnahmslos ein jeder Tester bestätigt, dass das eine Stück, dem Dankbarkeit und Liebe geschenkt wurde, am besten schmeckt.

Dankbarkeit ist ein essentielles Stichwort für mich in diesen Tagen. Geplant war eine Woche voller Road Trip Abenteuer in der Toskana. Wir waren in den idyllischsten Hotels, haben bei Silvana Cugusi den besten Pecorino der Welt gegessen, die schönste und berühmteste Straße der Toskana gesehen, laut Feinschmecker eines der besten Olivenöle der Welt verkostet, waren mit meinem Fiat 500 an Orten, die zu schön waren, um wahr zu sein. Haben gelernt Pasta selbst zu machen und wollten das Ende der Reise mit der Hochzeit von Stéphanie & Giordano am Samstag krönen. Leider machte uns das Schicksal einen fetten Strich durch diese Rechnung und seit Freitagabend sind wir nun schon im Krankenhaus. Die erste Nacht verbrachte ich auf einem Stuhl neben dem Bett, in dem mein Freund sich unter Schmerzen krümmte. Ich spreche zwar gut Italienisch, doch ist mein medizinisches Vokabular eher bescheiden. Wie in Deutschland auch, sind italienische Krankenhäuser viel zu voll und personaltechnisch unterbesetzt. Im Bett daneben lag jemand, der die ganze Nacht schrie. Dazu eine Klimaanlage, die bei knapp 40 Grad Außentemperatur nicht richtig funktioniert. Nach Röntgen, Ultraschall und Tomographie (mittlerweile kenne ich die italienischen Bezeichnungen) keine eindeutige Diagnose. Dazu Schmerzen, die für einen Menschen kaum zu ertragen sind. Als Freundin versuche ich natürlich, das bestmögliche zu tun. Stärke zeigen, trösten, Mut zusprechen, um Schmerzmittel und Updates bitten, die wechselnde Diagnosen der unter Zeitdruck stehenden Ärzte simultan übersetzen. Geduld haben, unendliche Geduld. Mitgefühl zeigen, aber kein Mitleid, das hilft nicht weiter. Nicht den Verstand verlieren, wenn die Ärzte sagen, dass die Entzündung so groß ist, dass Organe irreparabel angegriffen sein könnten.

Am allerwichtigsten aber, und das ist Rezept #1: Aus jeder Situation, egal wie sie ist, das Beste machen. Das Gute in allem sehen. Wie Byron Katie sagt: Lieben, was ist.

Deshalb besorge ich mir einen Campingstuhl, den ich neben seinem Bett platziere. Hole mir meine Bücher, die ich jetzt endlich lesen kann, freue mich, dass jemand Netflix erfunden hat (Money Heist rockt!) und hole mir zweimal am Tag das beste Brioche alla Crema (ein italienisches Vanillecroissant) in der Krankenhaus Cafeteria. Dazu trinke ich dreimal am Tag einen Espresso, damit ich nicht müde werde. Euch Lesern wird dies trivial vorkommen, aber solche Dinge sind wichtig. Auf keinen Fall darf man anfangen mit dem Schicksal zu hadern (eigentlich hatte ich für diese Woche eine private Coaching Fortbildung gebucht) oder sich denken, was man alles verpasst hat (z.B. die schönste Hochzeit des Jahres in der ehemaligen Sommerresidenz des Papst, siehe Foto, sowie ein Slowfood Akademie Wochenende), geschweige denn sich auf Instagram anschauen, an welch‘ schönen Orten alle anderen gerade sind, welch‘ armes Opfer man ist und sich selbst bemitleiden. Als die Verzweiflung einmal zu groß wird, rufe ich meine beste Freundin Evelyn an. Kaum höre ich ihre Stimme, fange ich an zu weinen. Wie immer schafft sie es nach wenigen Minuten, mich zum Lachen zu bringen. Irgendwann verleihe ich ihr den Nobelpreis. Freunde und Familie sind eine weitere wichtige Säule in diesem Palast der Glückseligkeit. Aber hierzu später mehr und nun zurück zur Pasta:

Der vermutlich einzige Mensch auf der Welt, der Marisas Pasta nicht zu schätzen vermag, ist ihr Ehemann Franco. Für Franco gehört Fleisch zum Gericht wie der Chianti zur Toskana, deshalb hat sie für ihn auch extra Polpette gemacht. Wenn man es sich einfach machen will, könnte man Polpette mit „Fleischpflanzerl“ übersetzen. Aber das wäre weit gefehlt. Ich bin ja seit einiger Zeit überzeugte Vegetarierin. Konventionell produziertes Fleisch ist schädlich fürs Klima, viel schädlicher als alle Flugzeuge und Autos zusammen. Außerdem fühle ich mich besser ohne Fleisch. Ausgeglichener und friedvoller. Und der wichtigste Grund sind für mich die Tiere. Ich halte mich selbst für einen Tierfreund. Und deshalb habe ich es als Selbstlüge empfunden, dabei weiterhin Fleisch zu essen. Wenn ich Zuhause in München bin (und keine Burrata oder kein Pecorino in der Nähe sind), ernähre ich mich größtenteils sogar vegan. Aber nun zurück zu den italienischen Fleischpflanzerl. Da lagen sie also vor mir, auf einem weißen Porzellanteller, daneben ein paar frische San Marzano Tomaten. Und ihr könnt mich jetzt einen Frevler nennen, aber ich habe sie gegessen. Vier oder fünf Stück. Das letzte bisschen Zweifel wurde von Franco ausradiert. Diesem Mann glaubt man einfach alles. Zweifelsohne ist Italien das schönste Land der Welt, Toskana das schönste Gebiet auf Erden, er der beste Kaffeekoch auf Erden. Er hat eine solche natürliche Autorität, dass 90% aller Manager und Chefs einen Kurs bei ihm besuchen sollten. Und wenn Franco sagt, dass man die Polpette essen soll, dann isst man sie auch.

Natürlich waren sie köstlich. Selbst als ich noch Fleisch gegessen habe, war ich nie großer Fan von Fleischpflanzerl. Aber diese. Ein Gedicht. Und das Geheimnis, warum sie so locker und luftig und voller Geschmack waren? Wieder das Rezept von Marisas: Hackfleisch (natürlich nicht vom Supermarkt, sondern vom Metzger nebenan), halb Schwein, halb Rind, Eier, frische Petersilie und frischer Basilikum, frisch aus der Erde gezogener Knoblauch (laut Marisa ein natürliches Antibiotikum), etwas Salz und Pfeffer und die Geheimzutaten: frisch geriebener Parmigiano und geriebener „Ricotta salata“ (das ist salziger Ricotta), jedoch nicht zu viel, sonst werden sie zu salzig. Und natürlich wieder Amore. Als ich sie frage, ob sie auch Semmelbrösel in die Masse mischt, verdreht sie nur die Augen gen toskanischen Himmel. Heisst also wohl nein.

Als ich glückselig Pasta und Polpette mampfe, kann ich an nichts anderes denken als an Pasta und Polpette. An den Geschmack auf meiner Zunge, den Geruch in meiner Nase und die wunderschöne Natur um mich herum. Seit einiger Zeit ist Mindfulness, also Achtsamkeit, in aller Munde. Es bedeutet vollständig im Hier und Jetzt zu sein, sich seiner Gefühle und Gedanken bewusst zu sein. Mit Techniken wie Meditation kann man es trainieren. Ich denke mir, dass man sich lange Jahre der Meditation sparen kann, wenn man von Marisa bekocht wird. Bei all diesen Aromen kann ich gar nicht anders, als im Moment zu sein. Keinen angstvollen Gedanken an die Zukunft verschwenden (wird mein Freund wieder gesund?), nicht die Vergangenheit gedanklich ein ums andere Mal wiederholen (hätte ich früher den Notarzt rufen sollen?). Und es ist ein überwältigendes Gefühl. Erst vor wenigen Wochen lernten wir bei der Slowfood Akademie selbst Sauerteigbrot zu backen, wilde Kräuter zu sammeln und Kühe zu melken. Das Frühstück am nächsten Morgen bestand ausschließlich aus Dingen, die wir selbst hergestellt hatten. Mit den eigenen Händen hergestellte Produkte zu essen ist eine komplett andere Erfahrung. Man ist so voller Stolz und Dankbarkeit, dass man es gar nicht wagen würde, nebenbei seine Emails zu checken.

Rezept #2 ist somit: Egal was es ist, genieß es mit all deinen Sinnen.

Zu den Polpette trinken wir Chianti. Aber nicht aus der normalen Flasche, sondern direkt abgefüllt vom Nachbarn aus dem Fass. Anfänglich war ich noch konsequent, ich trinke nämlich auch so gut wie gar nichts. Dreimal wurde ich von Marisa gefragt, ob ich Chianti zu meiner Pasta möchte. Dreimal habe ich höflich abgelehnt. Als mir dann aber Dottere Franco eine ungewöhnliche Blässe attestiert („Du bist ganz weiß im Gesicht, von Chianti bekommst du rote Wangen!“), gebe ich mich beim vierten Mal geschlagen. Wer mich kennt, der weiß, dass ich für eine blonde Deutsche wirklich immer eine gute Gesichtsfarbe habe, sogar meistens ungewöhnlich gebräunt für meinen Typ. Aber Franco sieht das anders. Deshalb trinke ich brav meinen Chianti („Nur ein kleines Glas bitte!“ – Haha), der laut ihm auch ein großen Mengen absolut katerfrei bleibt. Was ich zweifelsohne bestätigen kann. Als nun also meine Gesichtsfarbe von „Untoter“ zu „durch Chianti-Infusion Reanimierter“ übergeht, fangen die beiden an zu erzählen:

Anfang der 60er Jahre kamen beide mit ihren Familien als italienische Gastarbeiter nach Deutschland, genau genommen nach Tuttlingen.

Marisa war 14, Franco etwas älter. Anfangs kennen sich ihre Familien nicht. Marisa fängt direkt in einer Jeansfabrik an, Franco arbeitete in einer Dreherei. Marisa war schon immer sehr pflichtbewusst und fleissig, Franco eher sehr an Fußball und Frauen interessiert. Marisa hat irgendwann sogar zwei Jobs. Franco ist auch sehr fleißig dabei, die Nacht konsequent zum Tag zu machen. Als sich dann irgendwann die beiden Väter in der Fabrik bei der Arbeit kennenlernen, wird schnell klar, dass Franco eine Frau wie Marisa braucht. Es zwar zwar nicht Liebe auf den ersten Blick, aber das ist auch nicht nötig für eine wunderschöne Liebesgeschichte. Und wer jetzt denkt, dass das Ganze etwas arrangiert klingt, dem rate ich einfach, die beiden Mal live zu erleben. „Ich liebe sie immer noch wie am ersten Tag“, sagt Franco und Marisa verdreht dabei die Augen wieder gen Himmel. Ich glaube es ihm sofort.

Franco zeigt mir stolz ihr Hochzeitsfoto. Marisa trägt ein wunderschönes schlichtes weißes Kleid, ihre langen braunen Haare fallen offen über die Schultern. Franco daneben – wie könnte es für einen Italiener anders sein – in einem Anzug von Armani. Den er nur einmal getragen hat, nämlich zu seiner Hochzeit. Und wie es sich für einen stolzen Florentiner gehört, ist der Anzug in der Stadtfarbe von Florenz: Viola, also dunkellila. Seine ganze Attitude samt Erscheinungsbild erinnern mich sehr an Ricardo „Rico“ Tubbs von Miami Vice. Coolness vom Scheitel bis zur Sohle.

Die beiden sehen auch jetzt noch hervorragend aus, mindestens um 10 Jahre jünger, als sie eigentlich sind. In den 50ern war ein kleines Dorf in Italien Gegenstand einer Studie. Die Menschen dort lebten unglaublich lange. Man untersuchte das Essen. Die typisch mediterrane Diät, also viel frisches Obst und Gemüse, Fisch und Olivenöl. Allerdings trank man dort auch viel Wein, einige rauchten sogar. Das Geheimnis eines langen Lebens laut Studie war nicht primär die Ernährung, sondern eher die Lebensweise der dort lebenden Italiener: Sie waren niemals allein. In Gesellschaft zu sein wurde groß geschrieben. Nach der harten Arbeit traf man sich und aß, trank und lachte zusammen. Als ich mit Marisa und Franco zusammensitze, erlebe ich das Ergebnis der Studie am eigenen Körper. Als ich Marisa frage, was das Geheimnis ihres Aussehens und ihrer Gesundheit ist, sagt sie:„Immer arbeiten, immer aktiv bleiben. Und das was du tust, gerne machen.“ Dabei fällt mir ein Zitat von Immanuel Kant ein: „Die Regeln des Glücks: Tu etwas, liebe jemanden, hoffe auf etwas.“ Klingt irgendwie einfach. Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch bestätigen, dass die Sache mit dem Traumjob nicht ganz so einfach ist. Ich bin dabei nach dem Ausschlussprinzip vorgegangen. Nach einem Erasmussemester in Italien habe ich mein Jurastudium abgebrochen. Es passte einfach nicht zu mir, ich wäre niemals als Anwältin glücklich geworden. Bereut habe ich es keine Sekunde. Allerdings viele Tränen vergossen, da ich meiner Auffassung nach die einzige Person auf der Welt war, für die es nicht den richtigen Job gab. Heute kenne ich meine Weg und lache darüber, weiß aber nur zu gut, dass die meisten Leute nicht ihren Traumjob haben, geschweige denn kennen. Vorletzte Woche hatte ich eine Coaching Session mit zwei Klientinnen, die den für sie richtigen Job noch nicht gefunden haben. Auch hier flossen viele Tränen. Eine Arbeit zu tun, die entgegen der eigenen Prinzipien und Werte ist, ist etwas sehr schmerzhaftes. Man arbeitet gegen seine eigene Seele und gegen sein eigenes Herz. Man geht einen Weg, von dem man schon beim Gehen weiß, dass es nicht der richtige ist. Als ich neben den De Francos sitze, wird mir erneut in aller Deutlichkeit bewusst, was für mich im Leben zählt und dass ich den für mich bestimmten Weg gehen muss. Auch ich vergesse das zwischenzeitlich inmitten der vermeintlich wichtigen Dinge im Alltag.

Rezept #3 ist folglich: Vernachlässige niemals deine eigenen Werte. Und hab den Mut, deiner Leidenschaft konsequent zu folgen. Egal was die Umwelt sagt.

(All denen, die ihre Leidenschaft noch nicht gefunden haben oder sie vielleicht schon kennen, aber noch nicht den Mut gefunden haben, dieser zu folgen und sich stattdessen in Prokrastination üben, denen empfehle ich dieses Buch: The War of Art.)

Ihre ersten beiden Söhne kommen in Deutschland zur Welt. Als dann die Einschulung für den Ältesten ansteht, entscheiden sich Marisa und Franco an einem einzigen Abend, wieder nach Italien zurückzukehren. Franco findet in der Heimat sofort wieder Arbeit, nämlich in einer Dreherei in der Nähe von San Gimignano. Nach der erstklassigen Schulung in der Dreherei in Deutschland macht er dort einen guten Job. Was sein Chef allerdings anders sieht. Und nachdem sich die beiden nach kurzer Zeit das produzierte Werkzeug gegenseitig vor die Füße werfen, steigt Franco wutentbrannt in den Zug zurück nach Deutschland. „In Deutschland wissen sie, was Qualität ist.“ Wieder nicke ich brav. Franco hat nicht nur eine große Autorität, sondern auch ein ebenso großes Temperament. Seine Stimme dröhnt so laut, dass man sich gut überlegt, ob man widerspricht. 40 Jahre lang hat Franco in dieser Dreherei gearbeitet. Als er in Rente ging, wurde ein großes Fest zu Ehren von ihm veranstaltet. Die Auseinandersetzung mit dem Chef hat sich noch ein paar Mal wiederholt, aber am Ende ist er immer wieder mit dem Zug nach Italien zurückgekehrt.

All ihre Gäste sind Stammgäste, einige kommen schon in der zweiten Generation. Ich habe meine erste Nacht über booking.com gebucht und wollte einfach nur eine Unterkunft, die in der Nähe des Krankenhauses ist, wo mein Freund liegt. „Gardenhouse“ schien mir ein netter Name zu sein, die Bilder sahen freundlich aus. So kam ich also Sonntagabend, als wir eigentlich schon wieder zurück in München sein wollten, abgekämpft und niedergeschlagen um 22 Uhr bei immer noch 30 Grad alleine dort an. Ich denke ich sah auch dementsprechend aus und Marisa hatte wohl Mitleid mit mir, weshalb sie mir sogleich ein großes Glas mit selbstgemachtem Sorbet von Pfirsichen aus dem eigenen Garten brachte. Ich weiß nicht mehr genau, ob es das Sorbet oder die Art von Marisa war. Aber ich fühlte mich sofort zuhause, in meinem Zimmer mit Blick ins Grüne, wo man außer dem Zirpen von Grillen und dem Gezwitscher von Vögeln nichts hörte. So wie beim Essen, ziehen sie auch bei ihren Gästen Qualität der Quantität vor. Und beim dritten kleinen (haha) Glas Chianti lerne ich viele ihrer Stammgäste kennen:

Eine Österreicherin, die mit dem Motorrad angereist war und dementsprechend wenig Gepäckmöglichkeiten hatte, war so beeindruckt vom guten Wein, dass sie ihre gesamte Unterwäsche dort ließ, nur um zwei Flaschen Rotwein unterbringen zu können. Sie kommt mittlerweile regelmäßig und nimmt jedes Mal aus der Käserei ums Eck ganze 300 (!) Stück Mozzarella mit. Dabei ist ein original italienischer Mozzarella nicht eine kleine gummiartige Kugel, sondern ein circa 400g schweres Prachtexemplar. Mit dem Motorrad kommt sie natürlich schon lange nicht mehr.

Eines heißen Tages stand ein älterer Herr vor der Türe der De Marcos. Marisa war gerade dabei, das Essen für eine angekündigte Gruppe von 15 jungen Männern zu kochen. Alle Unterkünfte waren ausgebucht. Der Herr war mit seinem alten Golf angereist und fragte nach einer Schlafmöglichkeit. Sehr müde sah er aus, etwas hoffnungslos sogar. Sie musste ihn wegschicken, da sie ihm nicht mal mehr ein Zustellbett anbieten konnte. Als sie ihn so zu seinem Golf zurückschlurfen sah, tat es ihr im Herzen weh sagt sie. „Poveraccio“dachte sie sich. Das heisst so viel wie „armer Teufel“. Sie rief ihn zurück und sagte, dass er ausnahmsweise die Nacht bleiben könne, da die Gruppe von jungen Männern erst am nächsten Tag käme. Der Preis betrage 60€ für die Unterkunft. Das könne er sich nicht leisten sagte der Mann und kehrte wieder um. Erneut tat es ihr im Herzen weh und so fragte sie ihn, wie viel er denn bezahlen könne. Maximal 30€ sagte er. Sie gab ihm die Unterkunft für 20€. Anstelle eines Koffers holte er eine Plastiktüte aus dem Auto, darin Zahnbürste, Zahnpasta und seine Ciabatte. Das ist das italienische Wort für Schlappen, Adiletten sozusagen. Die so ähnlich aussehen wie ein flaches Ciabattabrot. Marisa empfand so viel Mitleid, dass sie ihn umsonst zum Abendessen einlud. Was er natürlich dankbar annahm. Am Ende blieb er über zwei Wochen. Wie sich herausstellte, war der Herr ganz und gar nicht arm. Er ist ein vermögender Buchantiquitätenbesitzer. Er wollte einfach mal schauen, wie die De Marcos so ticken. Prüfung auf großes Herz bestanden.

Dann gab es den Herren aus Deutschland, der viele Jahre mit seiner Frau zur Familie De Marco gefahren ist. Seine Frau hat er kein einziges Mal beim Namen genannt, immer nur Schatz oder Liebling. Sie war nierenkrank. Der Sohn der beiden hatte in jungen Jahren einen schweren Unfall, der ihn seitdem an den Rollstuhl fesselte. Dieser Herr aus Deutschland hatte wohl sehr viel Geld und sagte stets: „Was soll ich mit dem vielen Geld? Mit all meinem Geld kann ich meiner Frau keine Niere kaufen und meinem Sohn keine Beine.“ Nach vielen Jahren der Krankheit starb seine geliebte Frau und kurz darauf sein Sohn. Seitdem kam er alle zwei Wochen zur Familie Da Marco, stand stets unangekündigt vor der Tür. Zuhause fühlte er sich alleine und hielt es mit all den Erinnerungen nicht aus. In dem Apartment in der Toskana schlief er wie ein kleines Kind. Seit dem Tod seiner Frau und seines Sohnes war er nicht mehr derselbe sage Marisa und Franco. Kürzlich ist er gestorben. Wohl an gebrochenem Herzen.

Und hier kommt das letzte Rezept, Rezept #4: Was zählt im Leben sind tiefe menschlichen Verbindungen.

Meistens zu Familie und Freunden. Zu den Eltern, die einen immer unterstützen, egal was passiert. Zu Freunden, die noch am Tag nach ihrer Hochzeit ihre Verbindungen spielen lassen und den weltweiten Experten auf seinem Gebiet ins Krankenhaus in der Pampa bringen. Aber eine solche Verbindung kann auch zu einer komplett Fremden entstehen. Was zählt ist die Tiefe der Verbindung. Und diese kann innerhalb von einigen Minuten aufgrund eines Pfirsichsorbets zu einer Frau entstehen, die man noch nie zuvor gesehen hat. Einfach nur, weil sie so ein großes Herz hat. Ich habe mir auch geschworen niemals müde zu werden, meinen Lieben zu sagen, wie wichtig sie sind und wie sehr man sie liebt. Man weiß nie, was der nächste Tag bereithält.

Am Ende des Mahls gibt es natürlich Caffè, also Espresso. Auch hier lehne ich normalerweise ab, da ich von einem Kaffee so spät am Abend nicht mehr schlafen kann. Aber ich habe dazugelernt: Ablehnen zwecklos. Gekocht wird mit einer italienischen Mokkamaschine. Franco zeigt mir genau, wie ich es zuhause nachmachen kann. Vor einem Monat war ich mit meinem Liebsten in Rom. Auf Empfehlung einer lieben Kollegin (Grazie, Flavia!) gingen wir in Roms ältestes Café, ins Café Sant’Eustacchio. Deren Spezialität ist der Caffè con Crema. Und die Crema ist so hoch und schaumig, als würde man sich ein Badewasser mit 17 Litern Badeschaum einlassen. Wie machen die das wohl habe ich mich damals gefragt. Jetzt weiß ich es, dank Franco, dem besten Kaffeekoch der Welt natürlich. So schlimm diese Erfahrung mit meinem Freund im Krankenhaus war, so froh bin ich, dass es mittlerweile wieder mit ihm bergauf geht, nach über einer Woche wird er morgen wahrscheinlich entlassen. Außerdem hätte ich ohne diesen Zwischenfall niemals Marisa und Franco kennengelernt. Zwei Menschen, mit dem Herz am richtigen Fleck.

Verrate ich Euch also auch das Geheimnis des perfekten Kaffees? No, mi dispiace. Aber ihr könnt mich gerne in München besuchen kommen und ich koche Euch den besten Caffè con Crema Eures Lebens. Mit viel Amore natürlich.